Westfälische Nachrichten Gronau 23.2.2016

Der Verlust der Melancholie – Von Christiane Nitsche

Schöppingen. Dass sich mit Musik manches sagen lässt, das in Worte schwer bis gar nicht zu fassen ist, ist eine Binsenweisheit. In Thomas Manns Jahrhundertroman „Buddenbrooks“ ist es der Organist Pfühl, der seinem Klavierschüler Hanno Buddenbrook zur eigenen Sprache verhelfen will. „Später einmal im Leben, das vielleicht seinen Mund immer fester verschließen wird, muss er eine Möglichkeit haben, zu reden“, erklärt er Hannos besorgter Mutter Gerda, als die ihn fragt, ob er dem Jungen nicht zu viel beibringe.
Für den sensiblen Hanno, der in der Schule und unter dem strengen Blick seines erfolgreichen Vaters Thomas konsequent versagt, eröffnet sich mit der Musik „das klingende Reich eines milden, süßen und trostreichen Ernstes“. Was das bedeutet, erfuhren die Zuhörer beim Literaturkonzert im Alten Rathaus mit Sibylle Bertsch und Cosmin Boeru: Bach, Liszt, Wager, Brahms und sogar ein Stück von Friedrich Nietzsche begleiteten die Lesung aus Manns erstem großen und zugleich erfolgreichsten Roman über den Verfall der Kaufmannsfamilie Buddenbrooks.
„Sehr gut und sorgfältig ausgewählt“, fand Nikolaus Schneider die Titel, die Boeru in Bertschs Lesepausen einstreute – nicht nur, weil sich etwa im Text vorkamen, wie Bachs Orgelfantasie in g-moll. Auch spiegelt sich in der Musik jener Zeit der aufbrechende Konflikt am Ende einer Epoche: „Das was die Gesellschaft getragen hat, trägt nicht mehr“, erklärte der Ahauser VHS- Direktor.
Die VHS hatte den Abend gemeinsam mit dem Freundeskreis Schöppinger Konzerte und der Katholischen Kirchengemeide St. Bricitus veranstaltet – im Rahmen der Reihe „Weltliteratur: Zehn Liebeserklärungen“. Das Ziel der Reihe: „Lust erwecken, das eigene Lesen großartiger Literatur wieder in Gang zu setzen“. Die Musik als Medium dazu: Das ist ein stimmiges Konzept, sollte man meinen. Noch dazu, wenn beide Vorträge – der am Klavier wie auch die Rezitation – mit so viel erkennbarer Freude und Liebe zum Detail gelingen.